Peter Tepe

Überblick Uni Special Nr.2/Oktober 1995, S.12

Dr. Krötes Mythical Pursuit

Theater im Hörsaal

von Svenja Klaucke

Mythic Tours – fahr’n Sie mit.
Der Intellektuellenhit
Will Sie dazu animieren,
Ihre Bildung zu forcieren.
Mythic Tours – lädt Sie ein,
Spaß und Spannung, Mondenschein.
Mythologische Gedanken,
Die sich um Geschichten ranken!
Möchten Sie aus Ihrem grauen
öden Studien-Alltag fliehen?
Hier erwarten Sie gewagte
Interessante Theorien.
Es erwarten Sie zwei Ratten
Voller mythischer Erfahrung,
Und ein krötischer Gelehrter
Mit recht spärlicher Behaarung!
Ja dann steigen Sie doch bitte
Einfach mit in unseren Bus ein.
Und wir machen einen Ausflug
In das mythische Bewußtsein!
(Aus: „Mythisches, Allzumythisches“)

Im Wintersemester 93/94 begann Philosophie- und Germanistikdozent Prof. Dr. Peter Tepe im Rahmen des Studienschwerpunktes Mythos/ Ideologie mit einer alternativen Vorlesungsreihe. Unter dem Titel „Mythisches, Allzumythisches“ fand das bisher einmalige Experiment einer Vorlesung in Theaterform statt – mit dem Professor in der Rolle einer gelehrten Kröte und seinem Team Studentischer Mitarbeiter als Igel oder Ratten und in vielen anderen Rollen. Jetzt liegt die theatralische Vorlesung als Buch vor. Let’s present Dr. Krötes Mythical Pursuit.

Die phantastischen Expeditionen in’s Reich der Mythen und den Dschungel der Mythostheorien fanden tatsächlich statt: Im Wintersemester 93/94 als Vorlesung in Theaterform. Ein mythologisches Kabarett mit dem Hörsaal als Bühne für Germanistikprofessor Peter Tepe alias Dr. Kröte, der sich mit seinem gewitzten Freund Igel in den Händen eines vergnügungsssüchtigen Rattenpärchens befindet und diese mit alttierischen Mythen unterhalten soll. Dabei schummelt er als heimlicher Rattenfänger Stück für Stück seine mythos- und ideologiekritischen Überlegungen dazwischen. Sobald „der alte Langweiler“ zu trocken wird, organisiert Schlitzohr Igel eine Spielrunde „Mythical Pursuit“, läßt Gastkünstler für (musikalischen) Schwung sorgen, oder verpasst den nörgelnden Ratten, wenn nichts mehr hilft, eine Dosis NTD – die Nürnberger Trichter Droge.

Wer diese theatralischen Vorlesungen an der Philosophischen Fakultät verpasst hat, kann sie neuerdings auch nachlesen: Unter dem Titel „Mythisches, Allzumythisches. Theater um alte und neue Mythen 1“ legen Professor Tepe und sein Mitarbeiter, Kindermusicalautor Helge May, ein recht unorthodoxes Buch vor, das seinen wissenschaftlichen Gehalt über die ziemlich lustige Theaterhandlung auch weniger Fachkundigen verständlich und unterhaltsam näherbringt. Beim Lesen des Werkes lernt man nicht nur wie nebenbei die wichtigsten Mythos-Theorien kennen – Peter Tepe entwickelt aus ihnen, nachdem er ihre Vor- und Nachteile herausgeschält hat, vor allem eine eigene ‚Integrale Theorie des Mythos und der Ideologie‘. Darin wird mythisches Denken einerseits kritisiert, und zwar als systematisch irreführende Denkform, wo sie mit Erkenntnis- und Wahrheitsansprüchen auftritt. Andererseits haben die Mythen aber auch eine wichtige Funktion für die Lebensbewältigung: „Als symbolische Ausdrucksformen tiefsitzender Wertüberzeugungen und Verhaltensnormen, ohne die wir nicht leben könnten.“

Die phantastischen Expeditionen in’s Reich der Mythen

Ein fächer- und themenübergreifender Ansatz mit lebenspraktischer Relevanz also, der im Buch durch die szenische Einbettung in alltägliche und phantastische Geschichten geradezu praktisch nacherlebbar wird. Die Rollen der Tiere hat Co-Autor Helge May auf oft verquere, selbstironische und respektlose Weise verfasst: Da befindet sich zum Beispiel das Raumschiff „Mythos“ im Anflug auf Kröte Friedrichs ldeologie-Planeten „Nietzschia“, als plötzlich eine gigantische Wertprojektion die Mythosforscher bedroht. Als gestandene Wissenschaftler aktivieren sie natürlich den Profanisierer und wiederstehen jeder ideologischen Versuchung … Auf ganz anschaulich- spielerische Weise wird nach und nach nicht nur die lebenspraktische Lesart des Mythos deutlich, sondern auch die Gegenwartsrelevanz von Tepes Forschung. Nicht zufällig ging seine Arbeit am Mythos von Ideologieanalysen aus: „Mein aktuelles, auf die Moderne bezogenes Interesse war leitend. Ideologische Grundstrukturen, die auf bestimmten Mechanismen der lllusionsbildung beruhen, findet man ähnlich auch im mythischen Denken.“ Deshalb bezieht seine integrale Mythostheorie auch die neuen Remythisierungstendenzen mit ein, so im New Age Denken, in der Astrologie, im Feminismus.

Das Buch vermittelt also nicht nur Einsichten über die Strukturen des Mythos, es zeigt ebenso, wie man sie auch bereichsübergreifend auf heutige, gesellschaftlich relevante Phänomene anwenden kann: „Wenn man ein paar Grundmechanismen kennt, wird man sie auch auf anderen Ebenen wiedererkennen, z.B. scheinhafte Legitimierungen, Rechtfertigungen, Tricks in der Politik, in der Wirtschaft etc.“ Und die eigenwillig dickköpfigen Figuren von Helge May sorgen mit ihren, durch viel Situationskomik beschleunigten Einwänden dafür, daß nicht immer nur von vorneherein Professor Kröte recht behält…

Die Autoren

Prof. Dr. Peter Tepe, geb.1948 lehrt Philosophie und Neuere Germanistik an der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf. 1987 begann er mit dem Aufbau des lnterdisziplinären Studien- und Forschungsschwerpunkts Mythos/Ideologie. Herausgeber der Mythologica. Düsseldorfer Jahrbuch für lnterdisziplinäre Mythosforschung (seit 1993ff) und der Schriftenreihe Illusionstheorie – Ideologiekritik – Mythosforschung. Neuere Buchveröffentlichungen: Theorie der Illusionen (1988), Illusionskritischer Versuch über den historischen Materialismus (1989), Pathognostik versus Illusionstheorie (1994. mit Rudolf Heinz), NIETZSCHE ERKENNEN (1995) – alle im Verlag Die Blaue Eule, Essen – sowie Postmoderne/Poststrukturalismus (1992), Mein Nietzsche (1993), erschienen im Passagen Verlag, Wien.

Helge May, geb. 1965. Studium der Germanistik und Anglistik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Magister über Volksmärchen im modernen deutschen Kindertheater. Der Kindermusical-Autor ist als Schauspieler, Regisseur und Übersetzer in der freien Theaterszene tätig.