Renate Neumann

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Renate Neumann:
Du weckst die Nacht
Prosaminiaturen
Ahasvera Verlag, Neuss 1994

 

Du weckst die Nacht

Einsame Nächte umspielen wie Kautschuk den Körper. Liebesabenteuer werden kolportiert, nicht ausgegrenzt. Faulenzende Nächte im Arm des Mondes.

Da hämmert es sich gut und schneidet ins Fleisch. Suchmeldung: Wo ist die Nacht? Gieriges Aussaugen der Stunden, die die Nacht hergibt. Sie liest im Bett und stützt den Arm dabei auf, bis er einschläft. Die Einschlaflektüre ist leise. Als sie die Nacht durchmachten, tunkten sie sich nicht in blaugeblümte Pyjamas. Laß die Nacht ruhen! Sie hat dir nichts getan. Du hattest keine außergewöhnlichen Wünsche im Bett, was uns nicht daran hinderte, wunschlos glücklich zu sein, eine Sekunde, die ganze Nacht. Unter uns Wasser, zwischen uns Feuer. Die trauerumflorte Nacht runzelt die Stirn, Umarmung im Treppenhaus. Der Schlüssel klemmte. Nur diese eine Nacht. Sucht der Nacht. Keine Nacht allein, immer wieder. Dein liederliches Ehebett. Wenn du die dicken Vorhänge vorgezogen hast und den Baldachin über deinem Bett ausbreitest, klingt der Beischlaf postmodern. Kissen saugen Geräusche auf. Sie wickelte ihr goldenes Haar um seine Knie. Am nächsten Morgen schnitt sie es ab. Asymmetrisch. Schwebende Trauernacht. Dein Lachen, dein goldenes Haar. Sie legte sich am Abend schon das Frühstücksei zurecht, weil sie so früh aufstand. Sie hatte vier Kinder.

 

Muttersprache

Gehen, Hören, Riechen, Schmecken. Aufrecht stehen lernen, Fremdheit lernen. Antennen entwickeln, sprechen lernen. Was kann das Kind denn schon? Was will es verstehen? In welchem Land leben wir? Laß mich deine Muttersprache hören, wie klingt sie, wie surrt sie in deinen inneren Tönen? In welcher Sprache träumst du, verstehst du im Schlaf Papierrascheln, Insektensausen, Füßescharren? Weltsprache. In der verstehen wir uns, hören uns, könnten uns Liebe sagen, aber nun ist doch deine Sprache meiner fremd.

Ich kann nicht hören, was du sagst. Was ist deine Sprache? Ja, das ist etwas anderes, die Autosprache, Zeichen geben, Verkehrsregeln, internationale Verständigung, mit internationalem Führerschein kommst du überall durch. Aber was ist deine Muttersprache? Ist es schon das Brabbeln des Kindes, wenn es die ersten Laute hervorbringt, sandig, erdig, warm, eingelullt in der Sprache der Blumen. Diese knistern, wenn du damit zu mir kommst, laß uns durch Blumen sprechen. "Da muß ein klares Wort gesprochen werden." Genau, das ist der Ton der deutschen Sprache, die so durchdringend ist, daß sich ihr niemand entziehen kann, aber auch eine Sprache mit Idealismus. Ohren zuhalten würde nichts nutzen. Klingend in einer schönen Stimme, geradlinig, befehlend, beschimpfend, kasernenhörig. Aber hat sie nicht auch den Klang der Literatur, wie sie reimt, wie sie charmant tönt, warm klingen ihre Melodien, unsere Ohren sind durchlöchert von der Muttersprache, es könnte ein Gesang sein.