Detlef Hammel

4. Die pädagogische Dimension des Todes bei Kindern

Das Erleben des Todes bei Kindern fordert zum pädagogischen Handeln heraus, denn die Begegnung mit dem Tod darf nicht zu einem traumatischen Ereignis werden. Im folgenden Rückblick werden deshalb die wichtigsten Aspekte der pädagogischen Dimension des Todes in gesellschaftlicher, entwicklungspsychologischer und medizinisch-pädagogischer Hinsicht zusammengefasst und auf ihre Praxisrelevanz hin überprüft.

4.1 Die gesellschaftliche Ebene

Die verstärkte Auseinandersetzung mit Tod und Sterben kann im gesellschaftlichen Bereich dazu führen, dass die Betreuung im Krankenhaus noch stärker auf die Bedürfnisse des sterbenskranken Kindes und seiner Familie ausgerichtet wird. Dazu gehören sowohl die Mitaufnahme eines Elternteils und gegebenenfalls eines Geschwisters auf die Station als auch die Überwindung bürokratischer Barrieren beim finanziellen Ausgleich durch die Krankenkassen.

Die Zugehörigkeit von psychologisch-pädagogischen Fachkräften zum Pflegeteam sollte keine Ausnahme bleiben und ihre Arbeit darf nicht niedriger eingestuft werden als organisch-medizinische Therapiemaßnahmen.

Eine institutionelle Veränderung im Umgang mit Tod und Sterben erfasst auch die Schule, die Tod und Sterben als natürliche Lebenserscheinungen, zum Beispiel im Rahmen des Biologie-, Religions- oder Sozialkundeunterrichts, thematisieren kann.

Die Einsicht in die Unverfügbarkeit und Vieldeutigkeit von Tod und Sterben hat gesellschaftliche Konsequenzen. Sie fordert den pädagogisch-kritischen Umgang mit Tod und Sterben, der sich gegen einen von Menschen produzierten Tod (z.B. Krieg, Umweltkatastrophen) ebenso wendet, wie gegen eine technokratisch eingeengte Sichtweise des Sterbens.

4.2 Die entwicklungspsychologische Ebene

Die Auseinandersetzung mit den Todesvorstellungen von Kindern zeigt deutlich, dass sich auch Kinder intensiv mit Tod und Sterben beschäftigen. Eltern, die einem offenen Dialog ausweichen, laufen Gefahr, bei ihren Kindern angstbesetzten Todesbildern Vorschub zu leisten. Die kritische Auseinandersetzung der Erwachsenen mit den eigenen Todesvorstellungen ist bei der Begleitung trauernder bzw. sterbender Kinder eine Grundvoraussetzung. Wenn Erwachsene der Bearbeitung ihrer Todesvorstellungen bzw. -erfahrungen aus dem Weg gehen, deutet das auf unbewältigte Trauer hin. Die eigenen Ängste und Vorbehalte dürfen aber nicht auf die Kinder übertragen werden. Das gilt sowohl für die Eltern und Verwandten als auch für das Pflegeteam im Krankenhaus.

Kinder sollten ihre eigenen Erfahrungen mit Tod und Sterben machen dürfen, d.h. der Abschied von einem sterbenden Menschen muss ebenso, wie die Teilnahme an Beerdigungen, zugelassen werden. Kinder erleben den Tod weder allein kognitiv noch allein psychosexuell, sondern sie erfahren ihn in seinem psychosozialen Bezügen. Eine einseitige Beschäftigung mit dem Thema, zum Beispiel ausschließlich durch Berichte von Erwachsenen, greift deshalb zu kurz. Die Beziehung zu Tod und Sterben konstituiert sich im konkreten Erleben.

Vieldeutigkeit und Unverfügbarkeit, als Kennzeichen von Tod und Sterben, bedeuten für die menschliche Entwicklung, dass es keine ideale Todesvorstellung gibt. Das Todesverständnis eines Menschen ist von seinen biographischen Eigenarten, seinen persönlichen Erfahrungen und von seiner augenblicklichen Betroffenheit abhängig. Die pädagogische Aufgabe besteht darin, das Individuelle des Todeserlebens hervorzuheben und es nicht - zum Beispiel durch eine altersmäßige Zuordnung - zu verallgemeinern.

4.3 Die medizinisch-pädagogische Ebene

Im Mittelpunkt der medizinisch-pädagogischen Begleitung trauernder bzw. sterbender Kinder und deren Familien steht das Bemühen, sich auf die Vorstellungen und Ängste der Kinder einzulassen. Nur dann, wenn ihre zum Teil verschlüsselten Signale erkannt und zur Sprache gebracht werden, spüren die Kinder, dass sie in ihrer Trauer ernst genommen werden. Die pädagogische Aufgabe besteht darin, neben den Kindern auch deren Familien, bei sterbenden Kindern kommt noch das medizinische Pflegeteam hinzu, in den Prozess der Trauerbewältigung einzubeziehen und die Abwehrmechanismen dagegen behutsam abzubauen.

Bei der pädagogischen Arbeit bestimmt das Kind den Grad der Offenheit und der Intensität der Auseinandersetzung mit dem Tod. Eine Voraussetzung für die Orientierung der Kommunikation und Interaktion an den individuellen Bedürfnissen des Kindes liegt für die Begleitenden in der Aufrichtigkeit, der Einfühlsamkeit und in der personalen Verfügbarkeit. Die pädagogische Dimension des Todes zeigt sich letztlich in dem gemeinsamen Versuch der Kinder und ihrer Begleiter(innen), der Sinnlosigkeit des Sterbens einen Sinn abzugewinnen.