Detlef Hammel

Einleitung

"Eine halbe Stunde später bemerkten wir, dass Oma tot war. Als ich gerade alles vorbereitete, um die Kinder nach Hause zu nehmen... näherte sich Opa Michael. ’Komm, Michael’, sagte er und führte ihn zum Schlafzimmer, ’wir wollen Oma Auf-Wiedersehen sagen.’ Mein Mann und ich wechselten einen besorgten Blick, sagten aber nichts. Dort in dem großen, sonnigen Schlafzimmer... sagten diese zwei - der alte Mann und der kleine Junge - 'Auf Wiedersehen'. 'Oma starb', sagte Michael später. 'Es war ihre Zeit.' Und so begegnete unser ältestes Kind dem Tod in einem stillen und vertrauten Zimmer" (REED 8. Auflage 1983, 20 f.).

Die Begegnung von Kindern und Tod verläuft nicht immer so friedlich und vertraut wie im obigen Beispiel. Vielfach sind Tod und Sterben für Kinder traumatische Erlebnisse. Das mag zum einen daran liegen, dass viele Erwachsene sei es aus Angst, sich selbst mit Tod und Sterben auseinander zusetzen, oder aus gut gemeinter Fürsorge mit Kindern nicht immer offen über Tod und Sterben sprechen und ausweichend oder bagatellisierend reagieren. Zum anderen werden Kinder vielfach von der Begegnung mit Sterbenden und Toten ausgeschlossen. Die unzureichende Kommunikation über den Tod und die mangelnde Interaktion mit Sterbenden führen zu irrealen, angstbesetzten Vorstellungen von Tod und Sterben.

Der Begriff "der" Tod erscheint problematisch, denn "den" Tod gibt es nicht. "’Der Tod’, das ist ein prinzipiell unzulässiges, wenn auch aus Gründen der praktisch gebotenen Verständigung 'verständliches' Zeichen eines Abkürzungsverfahrens, dem kein sachhaltiges e i n e s Korrelat entspricht" (EBELING 1984, 53), denn jeder Mensch hat eine eigene Lebensgeschichte und einen eigenen Zugang zur Welt, mit dem eine eigene Sterbensgeschichte korrespondiert. Wenn im Verlauf der Erörterung von Tod und Sterben die Rede ist, dann gilt es, die individuelle und soziale Vielfältigkeit der Sichtweise mitzubedenken.

Ein Aspekt der pädagogischen Dimension von Tod und Sterben besteht darin, sich auf die kindlichen Vorstellungen und Ängste einzulassen und Kinder ein Stück auf dem Weg ihrer Trauer zu begleiten. Das gilt sowohl für gesunde Kinder, die zum Beispiel den Verlust von Eltern oder Geschwistern beklagen, als auch für sterbende Kinder, die mit ihrem Leben abschließen müssen. Um sich den Sichtweisen von Kindern öffnen zu können, müssen die eigenen Erlebnisse, Ängste und Vorbehalte bearbeitet werden. In einem ersten Schritt (Kap. 1, Todesvorstellungen im westlich-industrialisierten Kulturkreis des 20. Jahrhunderts) soll deshalb versucht werden, sich dem Phänomen des Todes auf einer allgemeinen, philosophisch-anthropologischen Ebene zu nähern. Das menschliche Verhältnis zu Tod und Sterben wird dabei mit den Begriffen der Unverfügbarkeit und Vieldeutigkeit gekennzeichnet und anhand eines historischen und eines soziologischen Argumentationsgangs erläutert. Der Blick zu anderen Kulturen könnte den eigenen Horizont unter Umständen erweitern, aber eine kulturvergleichende Analyse soll im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden.

Im Anschluss an die soziologisch-philosophische Standortbestimmung wird in einem zweiten Schritt (Kap. 2, Die Entwicklung von Todesvorstellungen und das Erleben des Todes bei Kindern) die Bedeutung der Entstehung und der Entwicklung von Todesvorstellungen für das Erleben von Tod und Sterben bei Kindern diskutiert.

Die Begegnung von Kindern und Tod wird in der Literatur unterschiedlich beschrieben. Neben psychoanalytisch orientierten Entwürfen, die die emotionale Dimension des Todeserlebens betonen, und kognitivistischen Arbeiten, die die Vorstellungen von Tod und Sterben mit der allgemeinen geistigen Entwicklung von Kindern korrelieren, stehen phänomenologische Situationsbeschreibungen.

Das Erleben des Todes bei Kindern wird dabei in seinen psychosozialen Bezügen gesehen, und es finden sowohl emotionale und kognitive als auch biographische, situative und leibseelische Sichtweisen Beachtung. Weil in der Literatur im allgemeinen eine Zuordnung zum jeweiligen Lebensalter stattfindet, soll dieser Vorgehensweise gefolgt werden, wobei die Bedeutung des einzelnen Ansatzes für die Kommunikation und Interaktion mit sterbenden Kindern kurz anzusprechen ist.

Sterbende Kinder erleben Tod und Sterben anders als gesunde. Da sich die Analyse der Todesvorstellungen hauptsächlich mit dem Erleben gesunder Kinder beschäftigt, wird in einem abschließenden Schritt (Kap. 3, Das Erleben des Todes bei sterbenden Kindern und ihren Begleitpersonen) das Erleben des Todes sterbender Kinder und ihrer Familien diskutiert. Neben der emotionalen und der kognitiven Dimension ist die familiäre Situation und das hospitale Umfeld von Bedeutung, so dass das Erleben des eigenen Todes bei Kindern von einem psychosozialen Standpunkt aus beschrieben wird.