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Thomas Brasch. Die Liebe und ihr Gegenteil oder Mädchenmörder Brunke

Die Familie Brasch steht für eine exemplarische und doch zugleich herausragende Familiengeschichte im Deutschland des 20. Jahrhunderts: deutsch, verbeamtet, kommunistisch, künstlerisch, jüdisch. Nach dem Ende des Nazi-Regimes wird der Vater stellvertretender Kulturminister der DDR. Sein ältester Sohn, Thomas Brasch (1945-2001) rebelliert gegen die autoritäre Erziehung und beschließt, Schriftsteller zu werden. Da ihm eine Publikation in der DDR verwehrt ist, flüchtet er 1977 nach West-Berlin, wo er mit seinen Werken, die Lyrik und Dramen, später auch Filme und Shakespeare-übersetzungen umfassen, sehr schnell bekannt wird.

Dem "Mädchenmörder Brunke" widmet Thomas Brasch sein letztes Lebensjahrzehnt. Mitte der 80er Jahre war er in einer alten Zeitungsausgabe aus dem Jahr 1906 auf den Fall des Doppelmörders Karl Brunke gestoßen. Daraus entsteht das mehrere tausend Seiten umfassendes Konvolut. Die 1999 bei Suhrkamp erschienene, nur 98 Seiten umfassende Variante konnte ihn nie zufrieden stellen. In zahlreichen Gesprächen mit Freunden schwebte ihm eine Veröffentlichung der Geschichte etwa als periodischer Groschenroman oder Abreisskalender vor.

Die LeseFuge, eine dramatische Installation mit sieben Schauspielern versuchte, dieser Idee Rechnung zu tragen. Sie fand im Jüdischen Museum, Berlin, am 26. und 27. August 2005 statt. Die Besucher waren eingeladen, sich in einer dramatischen Textinstallation mit der Wucht und komplexen Schichtung des Gesamttextes auseinanderzusetzen. In der Choreographie aus sieben Stimmen und Köpfen wurde eine wundersame Textlandschaft begeh- und hörbar:

Das Ordnungsprinzip dürfen nicht sieben Kapitel sein, sondern sieben mal sieben. Das heisst, ein Kapitel sind sieben Personen, das andere Kapitel sind sieben Handlungsorte des Brunke, das andere sind sieben Orte des Notierens von mir, das nächste sind möglicherweise sieben Formen, dann sind es sieben Türen, dann sind es sieben verschiedene Bilder, die sich die Leute von ihm gemacht haben, in den Akten oder Aussagen oder von den Handlungen. Thomas Brasch