THRILL KILL CULT

Kapitel "film"



Gerhard Reda
Eckhard Hammel

Tetsuo I

Shinya Tsukamotos 67 Minuten langer Film Tetsuo, the iron man (1989) stellt sich in eine Reihe mit David Lynchs Eraserhead und David Cronenbergs 1986 gedrehte Neuverfilmung des 1958 produzierten Klassikers The Fly von Kurt Neumann (vgl. Tetsuo Info). In Tetsuo aber steht am Ende aller leidensvollen Metamorphosen nicht die Peinlichkeit des Insektendaseins, sondern der Stolz eines "homo ex machina". Der Schwarz-weiß-Film beginnt mit turbulenten Kamerafahrten über ein Fabrikgelände, um Maschinen, Kabel, Rohre, Automatenzubehör und irrt im Zeitraffer, begleitet von einem Industrial-Soundtrack zum Bein eines Metall-Fetischisten, der sich gleich zu Beginn eine Eisenstange in den Oberschenkel implantiert. Der zweite Blick aufs Objekt entdeckt ein Gewusel von kleinen Maden in der Wunde. In panischem Schrecken torkelt er schreiend ins Freie und vor das fahrende Auto eines Geschäftsmanns. Gegen Ende des Films stellt sich heraus, daß der Geschäftsmann und seine Begleiterin den Geplätteten auf die Rückbank ihres Wagens packen und einfach irgendwo im Wald deponieren, wobei sie es, durch das Stieren des Verwundeten offenbar in den Zustand der Geilheit versetzt, neben ihm treiben.
An einer Bahnhaltestelle fummelt eine Schönheit an einem Alien herum, das sich an ihrer Hand festsetzt und sie zum willenlosen Monster werden läßt, welches nunmehr den Geschäftsmann durch die Schächte der Metro hetzt und ihn schließlich, obgleich es ihm offenbar gelingt das Monster im "splatternden" Nahkampf außer Gefecht zu setzen, infiziert.
Der Mann mutiert nun langsam aber sicher zu einem fremden Wesen; Arme und Beine entwickeln Geschwüre und Schleimklumpen die sich als maschinelle Pseudopodien entpuppen. In einem Alptraum wird er von seiner Begleiterin, die nun ausschaut wie eine Tänzerin der Stummfilmzeit und mit einem etwa zwei Meter langen, sich schlängelnden Phallus ausgestattet ist, von hinten genommen. Der Alp kippt ins Erwachen, und man hat Sex miteinander. Aber inzwischen greift der Metall-Virus um sich. Sein Schwanz verwandelt sich in einen rotierenden Eisenkegel, doch sie bringt sein rabiates Gelüst ("Do you want a taste of my sewage pipe?") mit einem in seinen blutenden Blechhals gerammten Messer einstweilen zur Ruhe. Als sie ihn jedoch ohnmächtig danieder sieht, beginnt sie an ihm herumzulecken und sich von dem rotierenden Kegel zerfetzen zu lassen.
Alles weitere verläuft dann Schlag auf Schlag: Der Bein-Implantat-Freak taucht wieder auf und dann folgt ein Rachespielchen, das wie ein typischer Japan-Trash à la Godzilla & Co. daherkommt, allerdings mit der Pointe, daß sich die Kämpfer nicht erschlagen, sondern eine finale Metamorphose durchmachen. (Wie fast alle asiatischen Produktionen verzichtet auch Tetsuo nicht auf die Betonung von Gestik und Mimik.) Nach dem Leidensweg mutieren sie zu einer janusgesichtigen Kreuzung aus "Blechbüchsenarmee" und "Panzerkreuzer Potemkin", die sich nunmehr aufmacht, die Welt an ihrem Glück teilhaben zu lassen.
Sei es, daß die Mensch-Maschine Rettung, sei es, daß sie Untergang bedeutet: Ihr gehört die Zukunft der Welt. Schöner Schlußsatz des narzißtischen "Eisenherz": "We can rust the world into the dust of the universe!"
(Kritische Worte:) Daß deshalb ein William Gibson den Film (laut Covertext) als "primal 21st Century cinema" bezeichnet, liegt nahe und mag vielleicht für den Film sprechen, aber es spricht nicht unbedingt für Gibson. Von der gesamten Umgebung her handelt es sich weniger um Cyber- als vielmehr um eine Art Industrial-Punk. (Selbst kommerziellen Filmen wie Stephen Spielbergs "Rasenmäher-Mann", Rachel Talaleys Ghost in the Machine oder Steve Barnetts Brain Slasher (1990) liegen Ideen zugrunde, die der Kybernetik weitaus näher sind.)
Tetsuo gibt sich alle Mühe kultisch zu wirken, aber es handelt sich doch nur um eine Synthese aus Darstellungsmitteln, die man einerseits aus Avantgarde- oder Undergroundfilmen, andererseits aus Trickfilmen und Animationsprogrammen kennt.
(Kritische Worte zu den kritischen Worten:) Vielleicht sollte man den Film nicht an der hohen Meßlatte seiner Selbstdarstellung messen, sondern unter dem Aspekt seiner zusammenfassenden, synthetisierenden Qualität betrachten.

(In der Fortsetzung, Tetsuo 2. The Body Hammer (1991), macht der "will to kill" aus dem obligatorischen Geschäftsmann einen Maschinengewehr-Cyborg, der sich gegen eine Skinbande verteidigt, die sein Kind entzweit hat.)