Prolog

Nach Lanes/Greggs Enzyklopädie der Seria Killer (The Encyclopedia of Serial Killers. The most comprehensive file on the world's serial murderers ever published, London (Headline) 1992) ergibt sich eine signifikantes Gefälle im Verhältnis zwischen „Serial Killerinnen“ und „Serial Killern“: Der Gruppe von etwa 185 spektakulären, männlichen Tätern steht die Zahl von 39 Täterinnen gegenüber. Neben weiteren 10 heterosexuellen Serienkillerpaare geben Lane/Gregg weitere 13 ungelöste Fälle an, die vermutlich einer Mordserie angehören. Wird die Gruppe der ungeklärten Fälle nicht berücksichtigt, stehen demnach 190 Männern rund 45 Frauen gegenüber. Das ergibt für die Täterinnen einen Anteil von etwa 20 Prozent am Gesamtkillerbestand. Wie überall: ein Geschäft der Männer unter sich? Sind die Männer von so übler Natur, daß es allzu leicht mit ihnen durchgeht? Sind alle Männer potentielle Killer? Oder besteht die hämische Spitze der patriarchalen Kultur in der Behauptung, daß es gar keine vollwertigen Serienkillerinnen gäbe?

Geordnet nach den nach den Orten ihres Wirkens ergeben sich für die Täterinnen folgende nationale Differenzen (vgl. ebd.: S. 429-437): Während die meisten asiatischen und mittelamerikanischen Länder überwiegend männliche Täter hervorgebracht haben, gab es Mexiko 8 herausragende Täterinnen, die in 4 weiblichen Paarkombinationen auftraten. An der Spitze zumindest der bekannt gewordenen und aufgeklärten Fälle stehen die USA mit 85 männlichen und 14 weiblichen „Serial Killerinnen“ und etwa 7 „Killerinnen-Paaren“. 6 spektakuläre Fälle blieben hier ungelöst. Auch bei den europäischen Ländern überwiegen der offiziellen Statistik zufolge die männlichen Täter. Länder wie Polen, Schweden, Jugoslawien und die Sowjetunion weisen sogar ausschließlich Männer auf. Für England liegt das Verhältnis bei 25 Männern (M): 4 Frauen (F) : 1 Paar (P). 4 Fälle blieben ungelöst. Für Frankreich bei 7M : 3F : 1P; für Deutschland bei 14M : 3F. Signifikante Abweichungen ergeben sich nur für Belgien, wo nur eine Täterin von sich Reden gemacht hat, und für Österreich, wo es 5 spektakuläre Serial Killers gab, sämtlich weiblichen Geschlechts.

Werden die Männer zumeist als perverse, nomadische Nachtgänger beschrieben, so müssen die Frauen eine Ein- und Unterordnung unter drei dominante Kategorien gefallen lassen. Geordnet nach Tätigkeitsfeldern ergibt sich für die Täterinnen innerhalb der offiziellen Geschichtsschreibung das folgende Bild (in Klammern folgen auf Namen und Land die geschätzte Zeit ihres Wirkens; danach die Anzahl der Opfer; M = Männer, F = Frauen, K = Kinder; danach die Tötungsmittel):

I. HAUSARBEIT

  1. Daisy Louisa de Melker, Südafrika (1923-32), Opfer: 3M (darunter Sohn, Ehemann). Arbeitsweise: Strychnin- und Arsen-Vergiftungen
  2. Nannie Doss, USA (1920-1960): 5M (Ehemänner), 3F (Mutter, Schwestern), ihre eigenen 2 Kinder. Arsen-Vergiftungen
  3. Janie Gibbs, USA (1966f): 1M (Sohn), 3K. Arsen-Vergiftungen
  4. Lydia Sherman "Queen Poisoner", USA (1860-71): 2M, 8K
  5. Marybeth Tinning, USA (1972-1985): 8K. Vergiftungen, Erstickung
  6. Caroline Grills, Australien (1947-53): 3F, 1M. Thallium-Vergiftungen
  7. Martha Rendall, Haushälterin, Australien (1906-1909): 3K. Getränke und Hals-Ausspülungen mit Hydrochloridsäure
  8. Minnie Dean, Neuseeland (1860): ca. 5k. Morphium-Vergiftungen
  9. Martha Marek, Österreich (30er Jahre): 2F, 1M, 1K. Thallium-Vergiftungen
  10. Marie A. Becker, Deutschland (1932-36): 2M, 10F. Digitalis-Vergiftungen
  11. angeklagt und freigesprochen
  12. Mary Ann Cotton, Großbritannien (1857-72): 4M, 1F, 4K, mehrere Schweine. Arsen-Vergiftungen
  13. Mary E. Wilson, Großbritannien (1955-7): 4M. Phosphor-Vergiftungen (Phosphor war derzeit üblicherweise in Sexualtonika enthalten.)
  14. Gesina M. Gottfried, Deutschland (19. Jhd.): 30 Opfer (incl. Eltern). Arsen-Vergiftungen
  15. Christa Lehmann, Deutschland (1952-4): 1M, 3F. E605-Vergiftungen; "Ich mag Beerdigungen" sollen die letzten Worte an Journalisten gelautet haben.
  16. Anna M. Zwanziger, Deutschland (18. Jhd.): ca 6. Arsen-Vergiftungen
  17. "Die Engelmacherinnen von Nagyrev", Ungarn (1914-29) = 38 Frauen im mittleren Alter wurden als Verdächtige verhaftet - 8 erhielten die Todesstrafe, 7 lebenslänglich, 11 andere Strafen: 100te von Vergiftungen

II. PFLEGEBEREICH

  1. Amy Archer-Gilligan, Altersheimbesitzerin, USA (1913ff): 3M, 2F und mehr. Arsen-Vergiftungen
  2. Ann Harbour Hospital Murders (Leonora Perez/Filipina Narciso, Krankenschwestern) (1975): 11M, Pavulon-Vergiftungen
  3. Gwendolyn Gail Graham/Catherine Wood, Altenpflegerinnen im Alpine Mansor Nursing Home (1950 bis 1987): 11-98 Opfer. Erstickung
  4. Genene Jones, Kinderkrankenschwester (1981): 42K. Succinylcholin- und Heparin-Vergiftungen
  5. Dorothea Puente, Obdachlosenherberge (1986-88): ca. 7* Opfer
  6. Jane Toppan, Krankenschwester (1880-1901): 70 Morphin-Vergiftungen
  7. Toronto Hospital Murders, Kanada (1980-1): etwa 28K bis 43K; Susan Nelles verdächtigt
  8. Delfina & Maria de Jesus Gonzales, Erziehungsheim für Schwererziehbare Mädchen, Mexiko (1954-1964): 80F. Verstümmelungen
  9. Lise J. Turner, Babysitter (1980-4): 3K (weitere Mordversuche mindestens an 3K). Erstickungen
  10. Marie M. Brinvilliers, Frankreich (1666). Vergiftungen
  11. Amelia E. Dyer "Mrs. Harding", Besitzerin einer "Baby Farm" in Großbritannien. Neugeborene wurden adoptiert und getötet: mindestens 5K
  12. Catherine Wilson, Krankenschwester, Großbritannien (1853-62): 1M, 4F. Sulphursäure
  13. Hélène Jegado, Nonne, Frankreich (1840-50): bis zu 30. Arsen-Vergiftungen
  14. Jeanne Weber, "L'Ogresse de la Goutte d'Or", Krankenschwester, Frankreich (1905-08): ca. 10K, erwürgt, erstochen
  15. "Todesengel von Wuppertal", Krankenschwester, Deutschland (198*): etwa 40 Opfer
  16. Waltraud Wagner, Österreich (1988-89), hat mit Hilfe von 3 Kolleginnen 42 geklärte bis geschätzterweise 100 Patienten vergiftet

(Was die Gruppe der männlichen Opfer anbelangt, so haben demnach die etwa 2 Millionen verheirateten Österreicher die relativ größten Chancen durch Frauenhand umzukommen, sofern sie sich als Patient in ein Wiener Krankenhaus begeben. Martha Marek wirkte als Hausfrau im Wien der 30er Jahre und Schwester Waltraud und ihre drei Kolleginnen Maria Gruber, Stefanjia Maier und Irene Leidolf im Lainz-Hospital, Wien, von 1983 bis 1989.)

III. GASTRONOMIE

  1. Tillie Gburek, Köchin, USA (1914-1921): 5M, 1F, 3K. Arsen-Vergiftungen
  2. Anjette Lyles, USA (1952-7): 2M, 1F, 1K. Arsen-Vergiftungen

IV. PROSTITUTION

  1. Aileen Wuornos, USA (1989-90): 7M. Erschießungen

Epilog

Werden Frauen, die nicht im Versorgungsbereich tätig sind - als killende Prostituierte beispielsweise taucht nur Aileen Wuornos auf - nicht in die offiziellen Statistiken aufgenommen, weil die Unterdrückung der Frauen nirgendwo so groß ist wie bei der Geschichtsschreibung des Serienmords? Die Überrepräsentation in klassischen Frauenberufe - 16 Hausfrauen, 15 Pflegerinnen, 2 Gastronominnen und nur eine Prostituierte - rührt daher, daß Frauen am Herd zu stehen hatten und öffentlich bestenfalls in Pflegeberufen tätig sein durften, also niemals die Chance hatten auf solch imposante Strecken wie Panzram, Bundy und Lucas zu kommen. Bundys Zahl der Opfer wird auf 19 bis 100 geschätzt, Landrus auf 300 und Lucas' auf 200 bis 600. Wen anders soll eine Hausfrau vergiften als die Ehegatten und die Verwandten?
Die Bevorzugung von Männern hingegen reicht bis in den Polizeiapparat, der bekanntlich selbst überwiegend aus Männern besteht. Pervers wie er ist, wird ein männlicher Homocide wie Bundy als knallharter Rationalist bezeichnet, von dem man sogar behauptet, daß die Polizeipsychologen sich gegen seine Hinrichtung ausgesprochen hatten: Er hatte sie nämlich aus seiner Zelle heraus bei der Erstellung von Täterprofilen unterstützt. (Später wird dieses Thema in der Figur des Serial Killers Hannibal Lecter in Jonathan Demmes Film The Silence of the Lambs (1992) wiederaufgenommen.)

Auch bei dem Typ des Serial Killers hat man es mit dem klassischen männlichen Narzißmus zu tun. Henry Lee Lucas ist deshalb als der Hoax-Killer in die Geschichte eingegangen: 600, 3000 Morde gab er je nach Lust und Laune an. Nachgewiesen sind 10. Das ändert nichts daran, daß Lucas in Tv-Dokumentationen und Film-Portraits - natürlich allesamt gemacht von Männern - seinen Ruhm verdoppeln konnte. Fritz Lang hat aus der Geschichte Peter Kürtens, des Vampirs von Düsseldorf, den Film "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" (1931) gemacht.
Der berühmteste Fall dürfte mit Alfred Hitchcocks Psycho (1966) vorliegen, einem Film, zu dem die Abenteuer des Soziopathen Edward Gein die Inspirationen lieferten. (Gein stand angeblich unter der Fuchtel seiner Mutter Augusta und hatte sich aus Frauenhaut Kleider geschneidert. Gein-Motive wurden nicht nur in der Literatur und in Comics verarbeitet, sondern auch in Filmen: Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre (1974), Demmes The Silence of the Lambs, Peter Jacksons Braindead (1992) u.a. Gein verfügt sogar über einen Fanclub mit Sitz in der Jamison Avenue Nummer 7752, Reseda, California 91355, USA. Warum gibt es keine Gesina-Gottfried- oder Waltraud-Wagner-Fanclubs? Weil auch das Fanclub-Wesen, dem es egal ist, ob es um männlichen Fußball oder männliche Killer geht, von Männern dominiert wird.
Auch Charles Manson und seine Sekte Family wurden filmisch ausgeschlachtet (Roberta und Michael Findlay: "Slaughter" bzw. "Snuff", David Durston: "I Drink Your Blood", John Aes-Nihil: "Family Movies", Ray Danton: "Death Master", Jim Van Bebber: "Charlie's Family" u.a.). Es gab Schlager über Fritz Haarmann, und es gibt Kaffeetassen mit dem Abbild Jeffrey Dahmers (der Sprecher der Anwälte der Opfer hat angegeben, daß man Dahmers Hausrat zu Gunsten der Hinterbliebenen versteigern will); T-Shirts, die Albert Fish mit Messer und Gabel unterlegen; während Jack the Ripper und Zodiac als geniale Bullenfopper gefeiert werden.

Schauen wir weiter auf die Killerpaare: Sie werden regulär unter dem Männernamen geführt; man(n) spricht nur von Ian Brady und Frederic West, nicht aber von den Frauen, und dies obgleich bei den sogenannten Moor Murderers Ian Brady und Myra Hindley, Nazi-Freaks und Sado-Pornographen, die von 1963 bis 1965 drei Kinder umbrachten, Myra Hindley die aktivere war. Auch hier wurde unterstellt, dass eine Frau solche Aktivität gar nicht entwickeln könne, diese vielmehr fremdbestimmt sei, insofern sie nur ihrem männlichen Killerkollegen habe dienlich sein wollen.
In Oliver Stones publikumswirksamen Film "Natural Born Killers" (1994) hält ein Schaulustiger vor dem Gerichtsgebäude ein Schild mit der Aufschrift "Murder me Mickey" und nicht etwa Mallory vor die Kamera. Natürlich wird der männliche Killer Mickey Knox vom Fernsehen interviewt, während seine von ihm selbst ihm angetraute Ehefrau Mallory noch in ihrer Zelle schmort.
Dabei ist längst nicht entschieden, ob bei den Killer(Innen)paaren nicht die Frau die Vorherrschaft innehat. Marie M. Brinvilliers beispielsweise wollte zusammen mit ihrem Liebhaber ihren Vater vergiften. Auf Initiative Maries begnügte sich das Pärchen nicht mit herkömmlich erhältlichen Stoffen. Um den Vater nicht unnötig leiden zu lassen, experimentierten sie mit zahlreichen Mischungsverhältnissen, die Marie an den Patienten eines Heimes testete.

Gleichwohl hat die patriarchale Hypothese von der prinzipiellen Unzurechnungsfähigkeit der Frau den männlichen Diskurs über die Frauen fundamental geprägt, ganz besonders den Diskurs über die weiblichen Serial Killer. So ist beispielsweise Gesina Gottfried die einzige Frau, der eine autonome Perversion zugestanden wird: Töten sei wie ein Orgasmus, soll sie gesagt haben. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Täterinnen ansonsten einer "exklusiven Disjunktion" (Deleuze/Guattari), einem speziellen "Entweder-oder" unterliegen: Entweder erscheinen weibliche Straftaten im Familienkreis durch schäbige kleine Ursachen bestimmt: lästige Personen, von denen frau Geld erwarten kann, oder aber sie werden als willenlose Geschöpfe ihrer persönlichen Geschichte dargestellt. Es gebe da Kausalketten endloser Jugendqualen, die das Handeln der „Serial Killerin“ auf pathogene Ursachen hin erklärbar und rekonstruierbar werden läßt. Das Subjekt der Handlung ist dann nicht die Frau, sondern letztlich ein perverser Vater oder ein gewalttätiger Ehemann.
Wenn Frauen - wie die ungarischen "Engelmacherinnen von Nagyrev" - beweisen, daß die Täterinnen nicht als Kranke zu bezeichnen sind, dann taucht sofort die Vermutung auf, daß alles nur auf Gerüchten beruhe. (Dabei ist hinzuzufügen, daß selbst die Bedeutung des Gerüchts different ausfällt: Bei Täterinnen bedeutet "Gerücht" Zweifel an der Wirklichkeit; bei männlichen Mördern wie Henry Lucas trägt das Gerücht gerade dazu bei, eine Aura des Geheimnisses zu schaffen.) In Nagyrev wurden immerhin 38 Frauen im mittleren Alter verhaftet, die hunderte erfolgreicher Vergiftungen durchführten. 8 erhielten die Todesstrafe, 7 lebenslänglich und die restlichen 11 andere Strafen. Wie sollten 38 Frauen gleichzeitig krank sein? Es liegt im Rahmen patriarchaler Herrschaftsausübung nahe, die Frauen, die beispielsweise ihre eigenen Kinder vergiften, sofort im pathologischen Sinn als unzurechnungsfähig abzustempeln. Daß eine der "Engelmacherinnen", Marie Kardos, ihren Sohn ihr Lieblingslied singen ließ, bevor er abkratzte; auch dies wird sofort pathologisiert und in seinem Kern verkannt, das Patriarchat an seiner Wurzel zu bekämpfen.
Aber wir sollten uns andererseits davor hüten, Maries Taten zu politisieren. Zwar ist sie gewiß eine redliche Vorkämpferin weiblicher Interessen, aber wir sollten dieses Faktum nicht zur alleinigen Ursache und zum Zentrum ihres Schaffens machen; zu einem Zentrum, um das herum sich ihre Taten wie Monde um einen Planeten anordnen. Wir verkennen dann die autonome Perversion Maries, die sich weder auf pathologische noch auf politische Kausalverhältnisse reduzieren läßt. Genau diese Zuschreibung würde ja bedeuten, der patriarchalen Logik auf den Leim zu gehen.

Spielt bei den Frauen nicht auch der Humor eine Rolle? Anjette Lyles hatte zu ihren Zwecken ein Restaurant eingerichtet, dem sie den Namen Gay Widow verlieh. Aber nicht nur der Humor, auch die Liebe zum unschuldigen Wesen und zum Opfer killt beim weiblichen Verbrechen mit. Minnie Dean vergrub 5 Kinder in ihren Blumenbeeten, und anrührenderweise verbot sie ihrem Gatten strikt, auch nur ein Blümlein zu schneiden.

Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Die quantitative Differenz zwischen den Opferstrecken der Täterinnen und Täter ist auf die patriarchale Unterdrückung der Frau zurückzuführen. Frauen hatten am Herd zu stehen und durften bestenfalls in Pflegeberufen tätig sein, hatten also niemals die Chance - erst recht nicht als Hausfrauen - auf eine so imposante Strecke zu kommen. Wie eine Ausnahme mit Alibifunktion wirken da die Geschwister Gonzales oder Gesina Gottfried, die es immerhin auf 30 Arsen-Vergiftungen (einschließlich ihrer Eltern) brachte.
Wegen der historischen Einbindung der Frauen in fixierte Positionen besteht auch ein signifikanter, qualitativer Unterschied zwischen der bevorzugten Opfergruppe mordender Frauen und Männer: Die Frauen morden der Statistik nach im engsten Kreis (fast 95% killen Familie oder Patienten), die Männer gerade nicht. Männer streunen herum und besitzen oftmals Frau und Kinder, die daheim warten und die Freizeitbeschäftigung der "Hausherren" nicht einmal ahnen. Obgleich es auch spezialisierte Braut- und Gattinnenkiller gibt (wie G. J. Smith, Henri Desiré Landru u.a.), bleibt bei den Männern die eigene Familie, dieser Ort ihrer Erhaltung, regulär verschont. Der gemäßigte Killer von Prostituierten und alleinstehenden Frauen killt gewissermaßen brachliegende Produktivkräfte und läßt die Familie als Institution unberührt; der radikale Killer negiert zwar die fremde Familie, die eigene aber läßt er bestehen - es sei denn es handelt sich um den Typ des rasenden Psychopathen wie in Stanley Kubricks Film Shining, der freilich Frau und Kinder nicht mehr zu erkennen vermag. Frauen haben diese Nährbasis überhaupt nicht nötig und killen gewissermaßen ihren vampyrösen Überbau.

Die Tötungsmittel sind bei Frauen in den meisten Fällen Gifte und die Tötungen demnach Vergiftungen, sehr selten sind Erstickungen, nur in ganz wenigen Fällen Erschießungen und Verstümmelungen. Bei Männern hingegen spielt das Gift kaum eine Rolle, sie bevorzugen Würgen, Erdrosseln, Erstechen, Erschießen und zahlreiche Spezialitäten wie lebendig zersägen, zerbohren usw.. Kein Wunder, daß sie häufiger erwischt werden als ihre Kolleginnen?! Aber auch hier zeigen die Frauen, daß sie es genauso können: die Schwestern Delfina & Maria de Jesus Gonzales haben in ihrem Erziehungsheim für schwererziehbare Mädchen 80 Frauen teils lebendig verstümmelt und den unehelich Schwangeren bei lebendigem Leib die Feten herausgerissen. Frauen können also durchaus anders, als immer nur vergiften, vergiften ...

Bei den Tätern läßt sich keine allgemeine Erklärung finden: Eine sexuelle Prägung (im vulgären Sinn: koital) liegt zwar vielen männlichen Straftaten zu Grunde, ist aber - wie bei den berühmten Killern im Geiste der anatomischen Wissenschaft Burke & Hare - keineswegs konstitutiv. Zwar finden sich homosexuelle Zielgruppen (bei Haarmann, Paulin, Dahmer, Panzram u.a.) und heterosexuelle Zielgruppen (bei Honka, Bundy u.a.) relativ häufig in der Opferstatistik; es gibt aber auch den Killertyp, der vom Sex nichts wissen will (Gein, Sutcliffe u.a.) und irgendwelchen anderen Perversionen frönt (Fish, Kürten), oder schlicht mordet, was das Zeug hält (Lucas).
Die männlichen Straftaten werden aber nicht nur als völlig arbiträr, lustbetont und motiviert durch Freude an der Arbeit dargestellt (vgl. Rémy Belvauxs/André Bonzels/Benoit Poelvoordes Film "C'est Arrivée Près de Chez Vous" (1991), besser bekannt unter dem englischen Titel "Man Bites Dog"), sie zeichnen sich überdies durch coole Professionalität aus. Die Frauen hingegen werden auch hier deutlich amateurhafter dargestellt. Aber vor solchen Dingen, wie sie Dorothea Puente, widerfuhren, ist auch kein männlicher Killer gefeit: Sie hatte im Garten ihrer Obdachlosenherberge Ende der 80er Jahre 7 dekaptierte Opfer verscharrt und sie, um die Verwesung zu beschleunigen, mit schnelltrocknendem Leim bedeckt. Formal darf man dem Vorgang also eine kognitive Leistung bescheinigen. Sie hatte nur die fast unbedeutende Kleinigkeit versämt, Wasser hinzugeben, denn nur der mit Wasser versetzte Schnelleim hat zersetztende Wirkung, der trockene hingegen konservierende...
Auch Catherine Wilson hatte einfach das Pech, daß die ältere Dame ihrer Wahl den giftigen Kräuter-Säure-Mix noch ausspeien und um Hilfe schreien konnte, bevor sie starb. Das hatte zur Folge, daß die herbeieilenden Helfer an den Stellen des ausgespiehenen Suds schwelende Löcher im Teppich vorfanden. Dieser Zufall stellte die Grundlage der Überführung Catherines dar, die tatsächlich nur Pech hatte und die Polizei Glück.

Zieht ein männlicher Serial Killer durch die Lande, so hinterläßt er eine Blutspur, und er macht aus dem Ort und dem Opfer seiner Schandtaten ein semiologisches Ereignis. Das hat nicht nur der berühmte Zodiac so gemacht. In zahlreichen Spielfilmen des Genres hinterlät der Täter mit Absicht Zeichen als Spuren, die nicht selten Zitate darstellen, die der Bibel oder Werken der "höheren Literatur" entnommen sind. Die Zeichen fordern den Detektiv heraus. Er muss eine hermeneutische Kompetenz besitzen, um das Puzzlespiel des Bösen decodieren zu können. Damit wird deutlich, dass zwischen den männlich besetzten Polizei und den männlichen Killern eine verborgene symbolischer Ordnung herrscht, ein klammheimlicher Pakt, der schließlich nur den Public Relations des männlichen Narzissmus dient.

Aber ist die Vermutung nicht angebracht, dass Frauen allgemein und im besonderen viel höhere Quoten erreicht haben als die Männer. Es mag sein, daß die Geschichtsschreibung der Serienmorde sie einfach übergeht, aber andererseits: Was sollte zu der Entlarvung einer vergiftenden Serientäterin führen, wenn nicht der Zufall? Weiß man tatsächlich, wie viele Ehefrauen wie viele Gatten und Kinder ermordet haben? Weiß man, wie viele Krankenschwestern wie viele Patienten vergiftet haben? Natürlich nicht. Es gelingt irgendwann, einen Toten als Opfer der Täterin auszumachen, die dann drei, vier oder mehr Taten gleich mitgesteht. Die Dunkelziffer wird dadurch nicht heller. Wer weiß wie viele hunderte und vielleicht tausende Tote auf die langsam und spurlos wirkende Hand der unzähligen, fleißigen Ehefrauen, Schwestern und Mütter zurückzuführen ist? So ist die mangelhafte Repräsentation der „Serial Killerinnen“ in der Geschichtsschreibung einzig auf ihre Intelligenz, ihre mühselige Geduld und ihre opferungsvolle Hingabe an ihr Metier zurückzuführen. Frauen haben nur ihren inneren Autrag erfüllen, nie aber Geschichte machen wollen.