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Roland Braun

Rezension von Hennig Schmidgens "Das Unbewußte der Maschinen"

(Zitate, die nur die Seitenzahl angeben, beziehen sich auf: H. Schmidgen, "Das Unbewußte der Maschinen", Dissertation, Freie Universität Berlin 1995/96, erschienen im Wilhelm Fink Verlag, München 1997)

 

"Alas, poor Romeo, he is already dead! - stabbed with a white wench's black eye; run through the ear with a love song; the very pin of his heart cleft with the blind bow-boy's butt-shaff." (Shakespeare)

Entgegen der vor allem anglo-amerikanischen Tradition, Deleuzes/Guattaris "Anti-Ödipus" (F.a.M. 1974) mittels der in den 60er Jahren entstandenen philosophiegeschichtlichen Untersuchungen Deleuzes aufzuschlüsseln (vrgl.: R. Bogue, "Deleuze and Guattari", London 1989; P. Goodchild, "Deleuze and Guattari", London 1996; B. Massumi, "A User's Guide to Capitalism and Schizophrenia", Cochin 1993; J. S. Hans, "The Play of the World", Amherst 1981), erkennt Schmidgen in Guattari den eigentlichen Initiator der Schizoanalyse. Schmidgen will aber auch gar "keine allgemeine Einführung in das Werk von Deleuze und Guattari oder in das von Lacan" (S. 11) liefern, sondern rückt die Lacan zugeschriebene Äußerung, "daß der Anti-Ödipus von seinen Seminaren her verfertigt worden sei" (E. Roudinesco, "Jacques Lacan", Köln 1996, S. 515) in den Mittelpunkt der Studie. Der Berechtigung dieser Aussage will Schmidgen nachgehen, da sowohl Lacan als auch Deleuze/Guattari eine nicht-mechanizistische Theorie der Maschine entfalten (S. 10). Dabei ist es keineswegs irritierend, daß Schmidgen am Ende zwei entgegengesetzte Maschinenkonzepte herausarbeitet. Im Gegenteil, auf diese Weise klären sich erst die verwirrenden, scheinbar widersprüchlichen Aussagen des Anti-Ödipus über Lacan (S. 141): Um Lacan wirklich zu entrinnen, muß man ermessen, was es kostet, sich von ihm loszusagen. Das anödipale Maschinenmodell ist keineswegs reduktionistisch, weil es schon auf dem Hintergrund einer immanenten Kritik am Strukturalismus operiert. Im folgenden wird es mir nur möglich sein, auf die unterschiedlichen Prämissen der beiden Theorien einzugehen. (Wer die 'Baupläne' der Maschinen einsehen will, kann dies nirgendwo besser als eben in Schmidgens Buch.) Schmidgen zeigt, daß insbesondere das Konzept des Wiederholungsautomatismus Jacques Lacans (das berühmte >>fort-da<<-Spiel) den Dreh- und Angelpunkt in der Auseinandersetzung um den Maschinenbegriff zwischen Lacan und Guattari bildet: "Mit (+) und (-) wird nach Lacan die grundlegende Alternative von Anwesenheit und Abwesenheit konnotiert. (...) Das >>fort-da<<-Spiel zeigt die >>conjonction essentielle<< von An- und Abwesenheit, deren strukturale Alternative der Mensch in seinem weiteren Leben immer wieder aufdrösele." (S. 119) Dabei ist zu ergänzen, daß für Lacan die symbolbildende Fähigkeit, zwei Phoneme in Opposition zu setzen, ">>se manifeste d'abord comme meutre de la chose<<" (S. 120). Da nach Lacan die Verdrängung und die Wiederkehr des Verdrängten dasselbe sind, stehen der Wiederholungs- oder Todestriebautomatismus für das Unbewußte selbst.

Worum geht es also? Im Kern um folgende These: "Lacans und Guattaris Vorstellungen von der unbewußten Maschine verhalten sich konträr zueinander: Für Lacan ist die Maschine ein Automatismus der Wiederholung, für Guattari hingegen die kreative Manifestation des Subjekts." (S. 139) Guattari kann sein Konzept der "a-signifikanten Semiotiken" (S. 143) gegen Lacans symbolischen Determinismus geltend machen, weil dieses letzterem nochmals vorausliegt: "Die Theorie der Signifikanten erscheint so gesehen als eine Theorie, die nur auf ein reduziertes und abgeleitetes Phänomen bezogen ist." (S. 128) Auf diese Weise wendet sich Guattari gegen jegliche Form "dualistische(r) Unterscheidung(en)" (S. 145). Das "Reich der Zwischenzeichen" (S. 129), die "Leerstelle zwischen (+) und (-)" (ebd.) unterschreitet dabei "das Theorem des Gegensatzes" (ebd.) Lacans. Dieser ">>Raum des Nicht-Sinns<<" (S. 127) "ähnelt, so betonen sie [Deleuze und Guattari, R. B.], nicht so sehr einer Sprache denn einem Jargon, einem offenen und polyvoken Gebilde: >>Les signes y sont de nature quelconque, indifférents à leur support (...). Ils n'ont pas de plan, travaillent à tous les étages et dans toutes les connexions...<<" (S. 141, Zitat im Zitat: L'Anti-Oedip, S. 46f.). Diese 'konnektive Synthese' oder 'Produktion von Produktion' beschreibt Schmidgen am Anfang des Werkes wie folgt: "Die Quell-Maschine ist mit einer anderen Maschine konnektiert, zu der sie selbst im Verhältnis des Einschnitts und der Entnahme steht; (...) Es gibt ein ideales Kontinuum der Ströme, die Hyle, in das geschnitten und aus dem entnommen wird." (S. 29) Schmidgen bemerkt zu Guattaris "quantitative(r) Semiotik" (S. 136) kritisch: "Mit einer so ausgerichteten Theorie stößt Guattari auf die grundlegende Schwierigkeit jeder Auseinandersetzung mit Zeichen, die über das Sprachliche hinausgeht. Die Existenz der präverbalen Zeichen scheint unbestritten zu sein. Wie kann man aber über die Schließung des Unbewußten sprechen, die nach Guattari dem Erwerb von Sprache zugrunde liegt? Wie kann man der Gefahr entgehen, den in Frage stehenden Gegenstand schon durch das Medium, in dem man von ihm Mitteilung macht, zu verzerren?" (S. 130)

Doch wäre an dieser Stelle zu fragen, ob nicht doch eine eingehendere Beschäftigung mit Deleuzes 1968 erstellten Habilitationsarbeit "Differenz und Wiederholung" zwischen den Fronten vermitteln könnte. Dort gelingt es Deleuze, unter Berufung auf das Werk des Linguisten Gustave Guillaume, Lacans Phonem-Oppositionen zu 'überbieten': "Denn der Gegensatz gibt uns in keiner Weise Aufschluß über die Natur dessen, was angeblich entgegengesetzt ist. Die Selektion der Phoneme, die in dieser oder jener Sprache einen relevanten Wert besitzen, läßt sich nicht von den Morphemen als Elementen grammatischer Konstruktionen trennen. Nun sind die Morpheme, die ihrerseits die virtuelle Gesamtheit der Sprache ins Spiel bringen, Gegenstand einer progressiven Bestimmung, die sich in 'differentiellen Schwellen' vollzieht und eine rein logische Zeit impliziert, die die Genese oder Aktualisierung zu messen vermag. Die formelle Wechselbestimmung der Phoneme verweist auf diese progressive Bestimmung, die die Einwirkung des virtuellen Systems auf den phonetischen Stoff ausdrückt; und nur wenn man die Phoneme abstrakt betrachtet, (...), haben ihre Relationen die negative Form eines leeren Gegensatzes und besetzen nicht mehr die differentiellen Positionen um eine Schwelle. Diese Ersetzung des Prinzips distinktiver Opposition durch ein Prinzip differentieller Position ist der grundlegende Beitrag von Guillaumes Werk." ("Differenz und Wiederholung", München 1992, S. 260) Die Sprache wird somit zum "virtuellen System" (s.o.). Der Vitualitätsbegriff stellt wohl den Superbegriff von Deleuzes Theorie schlechthin dar (B. Massumi, a.a.O., S. 34f.). Die Phoneme werden mit den Morphemen 'transversal' verkoppelt, wobei die Morpheme "ihrerseits die virtuelle Gesamtheit der Sprache ins Spiel bringen" (s.o.), d. h. die soeben trassierte Ebene 'vergessen', "einzig bestrebt, Plateaus oder Kopplungen abermals zu verkoppeln." (A. Villani, "Physische Geographie der Tausend Plateaus", in: C.-C. Härle (Hg.), "Karten zu >>Tausend Plateaus<<, Berlin 1993, S. 35). Damit sind alle Bedingungen des immanenten Gebrauchs der 'Konnexionssynthese', auch 'transversale Synthese' (L'Anti-Oedip, S. 46f.) genannt, erfüllt. Nicht zufällig taucht der letzte Begriff im Kontext der Kritik an Lacans Auffassung des 'Entwendeten Briefs', des 'virtuellen Objekts', auf. Über Lacans Analyse, derzufolge "die Wiederholung (...) sich noch auf der Ebene des Intersubjektiven manifestiert" (S. 117, 118; vrgl. S. 121f.), schreibt Deleuze: "Die Wiederholung vollzieht sich nicht von einer Gegenwart zur anderen, sondern ´zwischen den beiden koexistierenden Reihen, die diese Gegenwarten in Abhängigkeit vom virtuellen Objekt (Objekt=x) bilden. Weil es beständig zirkuliert und stets im Verhältnis zu sich selbst verschoben ist, bestimmt es in den beiden Realreihen, in denen es erscheint - und sei es zwischen den beiden Gegenwarten -, Transformationen von Termen und Modifikationen imaginärer Beziehungen. Die Verschiebung des virtuellen Objekts ist also keine Verkleidung neben den anderen, sie ist das Prinzip, aus dem in Wirklichkeit die Wiederholung als verkleidete Wiederholung resultiert." ("Differenz und Wiederholung", S. 140)

Die Prozessualität des 'virtuellen Objekts' hat auch Luhmann im Sinn, wenn er (neuerdings nicht nur Derrida, sondern auch auf Deleuze referierend) schreibt: "Die Tradition hatte Zeichen als Referenz, als Hinweis auf etwas Vorhandenes, etwas >>Anwesendes<< gedacht. Die Kritik dieser Tradition, etwa bei Jacques Derrida, hält nur noch das operative Faktum des take off, des Ablösens, der Erzeugung von différence durch différance fest. Das Zeichen verdankt sich seiner anderen Seite, die für Bezeichnungen nicht zur Verfügung steht - dem >>unmarked space<< Spencer Browns, der >>Weiße<< des Papiers, der Stille, in die die Laute sich einzeichnen. Das Stillhalten der Stille ist und bleibt Voraussetzung für das Kombinationsspiel der Zeichen, das sich eigener Unterscheidungen bedient." (N. Luhmann, "Die Gesellschaft der Gesellschaft", F.a.M. 1997, S. 182, 183; vrgl. 814f.) Die 'différence' liegt dabei natürlich auf der Ebene der anödipalen 'Produktion von Aufzeichnung'. Lacans 'meutre de la chose' wird auf diese Weise im Anti-Ödipus als 'verschobener Repräsentant der Repräsentation', d. h. als Aufzeichnung der Produktion, entlarvt.

E. Hammel verbindet in seiner Lektüre des 'Réseau 1-3' die Positionen Luhmanns und Deleuzes: sowohl die von Deleuze beschriebene Zirkulation des virtuellen Objekts als auch der Luhmannsche "Take off der Operatoren" (Kittler) lassen sich unter dem Paradigma der Kommunikation beschreiben. Wie wir ja gesehen haben, fallen die Begriffe Aufzeichnung / Ablösung / Zirkulation / Kommunikation alle zusammen, wenn man, wohlgemerkt, die bloße Beschreibungsebene nicht verläßt. Doch gerade darauf, daß man diese gar nicht mehr verlassen muß, kommt es an, will man sich Schmidgens repräsentationstheoretischer Kritik an Guattaris "fröhlichem Funktionalismus" (Tholen) entziehen. Deshalb entspricht Lacans Wiederholungsautomatismus ebenfalls einer solchen "den Menschen übersteigende(n) Kommunikation." (E. Hammel, "My father was a gambling man...", in: W. L. Hohmann (Hg.), "Glück. Möglichkeiten - Unmöglichkeiten", Essen 1995, S. 143), "eine(r) Zukunft, die in der Vergangenheit liegen wird und damit paradoxerweise eine Vergangenheit darstellt, die in der Zukunft liegt." (ebd., S. 142) Es zeigt sich also, daß die Tragfähigkeit und Reichweite von Guattaris Lacan-Kritik eng mit dessen Auffassung des lacanschen 'Realen' zusammenhängt. Wenn nämlich "das Unbewußte und demzufolgen auch das Symptom wie eine formale Sprache strukturiert" (ebd.) sind, dann beschreiben Symbolisches und Reales eine "Bewegung, die das, was sie kittet, erzeugt... eine autokatalytische Bewegung."(ebd., S. 144). Lacans 'futur antérieur' beschreibt somit ein Ende, das paradoxerweise erst 'retroaktiv' erfahrbar ist, ein Ende nach dem Ende, ein transfinites Ende. Baudrillard würde sagen, daß wir alle schon tot und damit virtuell unsterblich sind.

 




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