CultD

dietmar kamper

Philosoph · Kulturanthropologe · Soziologe · ...

Dietmar Kamper: Von der Kommunion der Körper zur Kommunikation der Maschinen

Ein Thema mit zehn Erläuterungen

Das Thema bezeichnet eine Bewegung, die sowohl diachron, in zeitlicherAbfolge, als auch synchron, durch horizontale Schichten hindurch, abläuft. Diese Doppelbewegung ergibt ein Kreuz. Der Schnittpunkt des Kreuzes, der zu ermitteln ist, hat mit derjenigen Sprache zu tun, in der das Thema erläutert wird. So lassen sich drei Zustände der Sprache unterscheiden, die auf drei Körperzustände passen könnten: jeweils zwei extreme und ein mittlerer. Die Körperzustände in der thematisierten Folge von der Kommunion zur Kommunikation heißen hier (nach Jean Baudrillard): Metamorphose, Metaphorik, Metastase. Die Sprachzustände, die darauf zu applizieren sind, kann man "Poesie", "Prosa", "Klartext" nennen. Aus der Überkreuzbewegung der also bezeichneten Körper- und Sprachzustände ergibt sich das komplexe Feld der folgenden Erläuterungen.

1. Erläuterung
Im gegenwärtigen Sprachgebrauch läßt sich immer häufiger die Bemerkung hören, man solle jetzt ein Ende machen mit der Prosa und endlich Klartext reden. Damit scheint eine neue Stufe der Abstraktion in der Sprache erreicht zu.sein. Die Redewendung vom Klartext markiert offenbar eine weitere Transformation,-ähnlich dem früheren Übergang von der Poesie zur Prosa. Gesetzt, es geht darum, daß das Sprechen nun direkt für Textverarbeitssysteme brauchbar sein muß, könnte "Klartext" heißen: Adaption der Sprache an eine Maschinenlesbarkeit. Der leitende Gesichtspunkt wäre dann nicht mehr die Verständigung von Menschen untereinander vermittels einer residualen Körpersprache, sonder die maschinelle Kommunikation, genauer die Kommunikation der Maschinen untereinander. Die Frage ist nicht, ob dergleichen möglich ist. (Die Antwort wird täglich gegeben.) Die Frage ist, was das kostet.

2. Erläuterung
Jean Baudrillard hat zuerst in Anbetracht amerikanischer Dickleibigkeit eine Stationenfolge konstruiert, die bei der Deutung der genannten Bewegung von der Poesie über die Prosa zum Klartext hilfreich sein könnte. Er nennt als unterscheidbare Aggregatzustände historischer Körpererfahrung: 1. den metamorphotischen Körper, d.i. der Körper im Gestaltwandel, der Körper der Mythen, der noch nicht identifizierbare Körper im Wechsel der Erscheinungen des Lebendigen (Stein, Pflanze, Tier, Mensch, Gott) 2. den metaphorischen Körper, d.i. der Körper der Repräsentation, der Szene, der differenten Verweisung, der als Abbild, Modell, Inbegriff eines verallgemeinerten Anderen fungiert; 3. den metastatischen Körper, d.i. der Körper jenseits der Szene, der "obszöne" Körper, der Körper, der nur noch er selbst ist und nichts mehr bedeutet, der geklonte, indifferente Körper, undarstellbar aber wuchernd wie Krebs. Was die Kontinuität der Abfolge: Metamorphose, Metaphorik, Metastase ausmacht, ist das "Mets", das "Nach" im Sinne eines Darüberhinaus, eines überschüssigen: Hinweis auf die Richtung einer Bewegung, die nicht ohne weiteres umkehrbar ist.

3. Erläuterung
Überträgt man die Stationen (erstens einer bewegten Nicht-Identität, zweitens einer Identität aus Differenz, drittens einer rastlosen Indifferenz) vom Körper auf die Sprache, so könnte die Übertragung Aufschluß geben über den Charakter von Poesie, Prosa, Klartext, vor allem aber über die Unbeliebigkeit ihrer Abfolge und die Kosten, die sich durch die eingeschlagene Richtung nach und nach ergeben. Der Zusammenhang von Poesie und Metamorphose leuchtet noch ungezwungen ein, auch derjenige von Prosa und Metaphorik, wenngleich in diesem zweiten Fall der überschüssige Anteil poetischer bzw. metamorphotischer Erfahrung an einer metaphernsicheren Prosa schon problematisch ist. Äußerst komplex gerät schließlich der dritte Zusammenhang, der Reste der beiden vorhergehenden braucht, um überhaupt noch thematisiert werden zu können. Vollendeter Klartext wäre die vollendete Metastase der Tod, der Tod der Sprache wie des Körpers.

4. Erläuterung
Um, dergleichen zu verdeutlichen, empfiehlt es sich, hypothetisch erstens eine irreversible Bewegung von der "Kommunion" zur "Kommunikation" anzunehmen und zweitens, daß der Fortschritt dieser Bewegung jeweils durch Abstraktion vom Materiellen des Körpers geschieht. Da auch Maschinen Körper sind, aber tendenziell immaterielle, ist der Zusatz nötig, daß das "Menschliche" nicht von der Materie ablösbar ist und daß es sein Übergewicht bei den Ursprüngen hat, bei der Metamorphose und bei der Poesie. Gleichwohl muß eine solche Kennzeichnung der fortschreitenden Abstraktion, sprich Entmaterialisierung, als Tendenz ins "Unmenschliche" nicht den Blick für die Notwendigkeit der laufenden Prozesse verstellen. Im Gegenteil: das Meiste an der Bewegung der Abstraktion blieb bislang undeutlich. Erst die Annahme der Folge: Körper - Sprache - Maschine bietet zum Klartext die "Klarsichtfolie". Erst in genealogischer Rücksicht läßt sich ein solches Resultat begreifen.

5. Erläuterung
"Kommunion" der Körper meint einen vergleichsweise unvermittelten Körperaustausch, der religiös und kulturell codiert ist. Ausdruck und Verstehen des Ausdrucks sind in eine reziproke Körpersprache eingebunden, die sich durchweg in unbewußten Ritualen vollzieht und eine ursprüngliche Vorschrift einzulösen sucht. "Kommunikation" dagegen ist weitgehend entmaterialisierte, abstrakt-allgemeine Verständigung, die zu Bewußtsein kommen kann und derart der sprachlichen Bemächtigung und der begrifflichen Erfassung zugänglich wird. Sie tendiert zur Entritualisierung und antikulturellen Decodierung, nimmt jedoch die Form gestanzter Klischees an, gelegentlich Züge einer maschinellen Schrift. Interessant ist der Bogen von der Vorschrift der Riten zur Nachschrift der Maschinen. Es ist aber fraglich, ob das Verbindende hier in einer bloßen Technik der Körper liegt, die den menschlichen Austausch strukturiert. Immerhin wäre dann zu wissen wichtig, was Technik ohne Rücksicht auf Abstraktion sein könnte.

6. Erläuterung
Die Abstraktion, die in Anbetracht des Materiellen Schritt um Schritt vorangetrieben wird und die ihrerseits die technologische Macht über Körper und Sprache ausdehnt, erscheint zunächst unaufhaltsam. Was sie jedoch zwingend mit sich bringt, ist das Anwachsen des Vermittelten, des "Medialen", der Apparaturen. Dadurch stellen sich - wie Jean-Francois Lyotard seit der Ausstellung "Les Immateriaux" immer aufs Neue betont - nicht allein Störungen der "Kommunion", sondern erst recht solche der "Kommunikation" ein, die schließlich zur Zerstörung der Sprache führen können. In diesem Sinne ist das Projekt der Moderne auto-aggressiv und selbstzerstörerisch. Jedenfalls kann der Verdacht nicht mehr von der Hand gewiesen werden, daß im anwachsenden Rauschen der Übermittlung die abgedrängte "Kommunion" der Körper in der Weise eines produzierten Unbewußtseins die sprachliche "Kommunikation" blockiert. Um eine derartige Blockade nicht mittels der Zerstörung der Systeme zu lösen, ist es erforderlich, neuerlich die Rückfrage nach dem "Sinn" der Abstraktion, nach ihren Spätfolgen und Nebenwirkungen zu stellen.

7. Erläuterung
Es gibt offenbar "Stufen" der Abstraktion, denen "Stufen" der Allgemeinheit entsprechen. Während die "Kommunion" - wie angedeutet - auf körpernahen Ausdruck setzt, baut die "Kommunikation" auf das Verbindliche eines Allgemeinbegriffs, der seine Wurzeln in der Mittellage eines traditionellen "sensus communis" hat. Von einem bestimmten Punkt der Abstraktion an verliert sich aber die Wirksamkeit dieser Mittellage, die ihrerseits von traditioneller, archaischer Körpersprache lebte. Das Metastatische setzt ein, wenn die Metaphorik ihre Verbindung zur Metamorphose verliert. Der Klartext der Sprache wird zum inhaltlosen Geschwätz, wenn die Prosa sich nicht mehr durch Poesie nähren läßt. Im Verhältnis beider Abstraktionsstufen kommt nämlich etwas Unbeliebiges vor: so wie das Sprachspiel mit dem Sprecher spielt, so ist der Ausdruck dem Begriff überlegen. Der Grund der Sprache ist abstrakt nicht einholbar. Andererseits findet noch die Begriffslosigkeit ihre Expression. Das Geschwätz und ähnliche "Kommunikative Inkompetenzen" verfallen sogar zwingenden Körperritualen.

8. Erläuterung
Zwar ist die Abfolge der Abstraktionsstufen zwischen der "Kommunion" der Körper und der "Kommunikation" der Maschinen irreversibel, aber sie würde in der Tat zu viel kosten, wenn es nicht möglich wäre, eine Durchlässigkeit der Sprach- und Körperzustände nach rückwärts zu garantieren. Hier wird die Synchronizität wichtig, die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigen. Wo dies wegen verbauter Zukünfte und abgeschnittener Vergangenheit verhindert wird, hätte die Auto-Aggression freie Bahn. Denn die menschliche Sprache ist kein Kinderspiel. (Das hat Eugen Rosenstock-Huessy in seinen einschlägigen Schriften immer wiederholt.) Sie hat auf allen Stufen und in allen Zuständen einen lebensgefährlichen Charakter, insofern derjenige, der sie gebraucht, unter die Gewalt der Worte gerät, die er spricht. Augenfällig wird diese Gesetzmäßigkeit am "sensus communis", an der exklusiven Metapher eines "Körpers", der zwischen "Kommunion" und Kommunikation" in der Mittellage situiert ist.

9. Erläuterung
Es handelt sich um den "strahlenden Gotteskörper", jenen Inbegriff der symbolischen Ordnung des Abendlandes, in der eine Überkreuzbewegung von Materie und Geist, von Fleisch und Wort möglich wurde. Auch daran kann das Lebensgefährliche der Sprache deutlich werden: Fleischwerdung des Wortes und Wortwerdung des Fleisches unterstehen historisch der Signatur des Kreuzes. Die religiös und kulturell codierte "Kommunion" ist in Europa nur zugänglich geblieben unter der Bedingung verhängnisvoller Abstraktion, die einem Mord gleichkommt. Der Wechsel vom Körper zur Sprache erweist sich als ein grausamer Schnitt, der alle Vergangenheit und alle Zukunft neu bestimmt. Aber der Tod des Körpers des Gottes ist, so betrachtet, das Leben der Sprache. Alles wird darauf ankommen, die Frucht dieses Verbrechens nicht zu verspielen, die in der Mitte der Zeiten liegt. Die Wandlungsfähigkeit von Hörern und Sprechern hängt seitdem daran, daß Vergangenheit und Zukunft nur zugleich erweitert werden können.

10. Erläuterung
In gewisser Weise bietet die Abstraktion, die das Christentum leistet, den Schlüssel für die Doppelbewegung, die hier Thema war. Wichtig ist dabei, wie der Anfang sich im Ende und dieses sich in jenem verheddert. Die Vorschrift der Rituale und die maschinelle Nachschrift verweisen unter der einzigen Voraussetzung aufeinander, daß man das Kreuz wahrnimmt, das sich aus Körpern und Maschinen gebildet hat. Jacques Lacan konnte nicht von ungefähr das zur Acht geschlungene Möbiusband als Signatur einer Sprache des Unbewußten dechiffrieren. Maschinen sind (noch mehr als Worte) Fallen, in die diejenigen geraten, die sie benutzen, wenn ihre gestaffelte Rückbindung an den geschichtlichen Prozeß der Abstraktion durch die weiteste Perspektive nicht gelingt. Dazu gehört Vertrauen in der Kraft der Prosa. - Und dies sollte hier ohne Komplixitätsreduktion investiert werden.

[zurück zum Verzeichnis Texte\Autor]