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dietmar kamper

Philosoph · Kulturanthropologe · Soziologe · ...

Christoph Wulf

In memoriam Dietmar Kamper

Dietmar Kamper studierte zunächst Sport an der Sporthochschule Köln, wo er zu den bekannten Kurzstreckenläufern dieser Jahre gehörte. 1964 promovierte er in Philosophie bei Max Müller in München; 1969 ging mit einem Habilitationsstipendium nach Marburg. 1973 erschien seine Habilitationsschrift Geschichte und menschliche Natur. Die Tragweite gegenwärtiger Anthropologiekritik. Als Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialisationstheorie machte er schon sehr früh Foucault, Derrida, Lacan, Baudrillard und Virilio in Deutschland bekannt. Als Dekan seines Fachbereichs und als Vizepräsident der Marburger Universität spielte er bei den Universitätsreformen dieser Jahre eine zentrale Rolle.

1979 kam er als Professor für Soziologie an die Freie Universität Berlin. Auf und nach einer gemeinsamen Reise nach Santiago de Compostela (Im Schatten der Milchstrasse 1982) entwickelten Dietmar Kamper und Christoph Wulf allmählich die Pläne zu einer Reihe von zehn internationalen transdisziplinären Colloquien zur Historischen Anthropologie, an denen unter dem Rahmenthema Logik und Leidenschaft über 150 Autoren aus mehr als 30 Disziplinen und mehr als 10 Ländern teilnahmen. Hier ging es um vielfältige Bemühungen, auch nach dem Ende der Verbindlichkeit einer abstrakten anthropologischen Norm, weiterhin Phänomene und Strukturen des Menschlichen zu erforschen. Einige der in diesem Rahmen erschienen Bücher haben Forschungsfelder in den Geistes- und Kulturwissenschaften mitbegründet, die bis heute erhebliches Interesse finden, z.B.: Die Wiederkehr des Körpers 1982; Das Schwinden der Sinne (eine Anthropologie der Sinne) 1984; Das Heilige. Seine Spur in der Moderne 1987/1997; Die sterbende Zeit (eine Anthropologie der Zeit) 1987; Die erloschene Seele 1988; Der Schein des Schönen 1989; Schweigen. Unterbrechung und Grenze der menschlichen Wirklichkeit 1992.

Unterstützt vor allem von Gunter Gebauer, Dieter Lenzen, Gerd Mattenklott, Jürgen Trabant führten diese Aktivitäten später an der Freien Universität zur Gründung des Interdisziplinären Zentrums für Historische Anthropologie, zu dessen Mitgliedern außerdem gehören: Gerd de Haan, Erika Fischer-Lichte, Ingrid Kasten, Hans Merkens, Garsten Niemitz, Wolfgang Schönpflug, Alexander Schuller und Dietmar Todt. Maßgeblich wurden von Dietmar Kamper mitgestaltet die von diesem Zentrum im Akademie Verlag herausgegebene internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie Paragrana. und die Reihe Historische Anthropologie im Reimer Verlag.

Besonders produktiv war für Dietmar Kamper die Auseinandersetzung mit der Einbildungskraft, über die er in drei auf einander bezogenen Untersuchungen gearbeitet hat (Zur Geschichte der Einbildungskraft 1981, Zur Soziologie der Imagination 1986, Unmögliche Gegenwart. Zur Theorie der Phantasie 1995). Wie Gehlen und Castoriadis sah Kamper in der Imagination die entscheidende Kraft, mit deren Hilfe sich Menschen entwerfen und verwirklichen. In diesen Arbeiten ging es ihm auch darum, die „negative“ Seite des Imaginären zu erforschen, die darin besteht, die menschliche Weltoffenheit und Freiheit auch gegen den Willen der Menschen einzuschränken. Mit diesen Forschungen einher ging Kampers wachsendes Interesse am Bild und an der Bedeutung der Bilder für ein Verständnis der Gegenwart (Der zweite Blick. Bildgeschichte und Bildreflexion 2000; hrsg. mit Hans Belting).

Wichtig waren Dietmar Kamper seine in den letzten Jahren im Fink-Verlag erschienenen, zum Teil biographische Elemente einarbeitenden Studien, in denen er seine Forschungen zur Historischen Anthropologie und zum Imaginären weiterführte: Abgang vom Kreuz 1996; Von Wegen 1998; Ästhetik der Abwesenheit 1999; Horizontwechsel 2001.

Auf grund seiner vielfältigen Interessen, seiner geistigen Unruhe und seiner Offenheit für neue Fragen und Wege der Erkenntnis war Dietmar Kamper ein äußerst anregender Hochschullehrer, Kollege und Freund. Seiner persönlichen Integrität und Ausstrahlungskraft konnten sich selbst die Kollegen und Kolleginnen nicht entziehen, die seinen Forschungen eher kritisch gegenüber standen.

Christoph Wulf

erschienen in: Paragrana - Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie. Band 11, 2002, Heft 2: Kants Anthropologie. Herausgeber: Dietmar Kamper, Christoph Wulf, Gunther Gebauer. Akademie-Verlag Berlin 2002, S. 273-274.
Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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