Vittoria Borsò
Moderne der Jahrhundertwende(n)
Internationaler Kongress an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 1998

Philosophie, Ästhetik, Literatur der Moderne(n)
portrait

Mauro Ponzi

Der destruktive Charakter der Moderne:
Benjamin und Baudelaire

Walter Benjamin hat das Paris des zweiten Kaiserreichs als Ursprung der modernen Epoche verstanden. Die Wende, die damals zustande kam, hat die Spaltung zwischen "alten" und "neuen" Schreibweisen bewirkt. Die Großstadt ist der Ort, an dem die Veränderungen des Neuen am Deutlichsten dargestellt werden. Hier ist es nämlich leichter, sowohl den Identitätsverlust des Individuums als auch den destruktiven Charakter der Moderne festzustellen. Paris wird von Walter Benjamin als Allegorie der neuzeitlichen Veränderungen gekennzeichnet. Und Baudelaire hat diese Veränderungen rechtzeitig literarisch rezipiert; er hat aber auch gleichzeitig bemerkt, wie dieses Neue auf der systematischen, notwendigen und dauernden Zerstörung des bisher Existierenden gegründet war. Die Großstadt kann nämlich ihre neue Form nur übernehmen, indem die alten Viertel zerstört werden, um dem Neuen Raum zu schaffen. Benjamin unterstreicht wiederholt, daß der französische Dichter den vergänglichen Charakter der modernen Epochen in den Mittelpunkt seiner Werke gesetzt hatte. Die Überlegenheit der Baudelaireschen Dichtung im Vergleich zur modernen Poesie besteht darin, daß er sein poetisches Objekt (d.h. die Großstadt) mit Distanz behandelt. Wie Benjamin schreibt: "Daß Baudelaire dem Fortschritt feindlich gegenüberstand, ist die unerläßliche Bedingung dafür gewesen, daß er Paris in seiner Dichtung bewältigt hat. Mit der seinen verglichen, steht alle spätere Großstadtlyrik im Zeichen der Schwäche. Ihr fehlt eben die Reserve ihrem Sujet gegenüber, die Baudelaire seiner frenetischen Feindschaft gegen den Fortschritt zu danken hatte".

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Ausgewählte Daten zur Person

Biographische Daten

Mauro Ponzi, geb. 1950, studierte Germanistik, Italianistik und Literaturwissenschaft an der philosophischen Fakultät der Universität Rom "La Sapienza". Seit 1980 ist er dort Professor für deutsche Literatur und Sprache. 1986 und 1987 war er zwei Semester am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin mit einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, um über "Walter Benjamin und die Kategorie der Moderne" zu forschen. Von Januar bis März 1994 war er Gastprofessor an der Roskilde-Universität (Dänemark) im Rahmen des Erasmus-Programms. Von Mai bis Juni 1996 war er durch ein DAAD-Kurzzeitstipendium an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und arbeitete an einem Forschungsprojekt über den jungen Goethe. Im August 1996 war er Stipendiat bei dem Literarischen Kolloquium Berlin und von August bis September 1998 bei der Goethe-Gesellschaft in Weimar für ein Forschungsprojekt über den jungen Goethe.

Ausgewählte Publikationen

La critica e Cesare Pavese, Bologna (1977); Hermann Hesse, Florenz (1980); Letteratura e mass-media nei paesi di lingua tedesca, hg. von Mauro Ponzi, Rom (1991); Walter Benjamin e il moderno, Rom (1993); Tradizione ebraica e cultura di lingua tedesca, hg. von Mauro Ponzi, Rom (1995); Pasolini und Fassbinder. Eine Duographie, Hamburg (1996); Passione e melanconia nel giovane Goethe, Bd. 1, Rom (1997); Il mito della giovinezza in Hermann Hesse, Florenz (1997); "L'angelo della storia di Heiner Müller", in: Avanguardia. Rivista di letteratura contemporanea, Jg. 2 (1997), N. 4, S. 53-78; "Il grido di Marsia. La storia come catastrofe permanente nei drammi di Heiner Müller", in: Biblioteca tetrale, Jan.-März 1997, S. 95-124; "Pasolini critico del moderno", in: Lezioni su Pasolini, hg. von Tullio De Mauro und Francesco Ferri (1997), S. 21-48.